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Der dritte Sarg

 

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Irgendwo muss sie liegen.

 

Wer ?

 

Die Leiche natürlich. Die Leiche ist oder war eine „SIE“.

 

„Sie“ war meine erste Jugendliebe. Vor weit mehr als einem halben Jahrhundert. Während eines Tanzkurses lernte ich sie kennen. Es war die Zeit, als die Herren die Dame nach Hause begleiten mussten, mit der sie den letzten Tanz absolviert hatten. Die Damen waren meist hübsch und auf dem Nachhauseweg gelegentlich anschmiegsam. Ich erdreistete mich, schüchtern meinen Arm um ihre, wie sie meinte, etwas fröstelnden Schultern zu legen. Sie ließ es widerstandslos geschehen. Zu weiteren Intimitäten kam es nicht. Ich war wohl zu schüchtern, denn am nächsten Tanzabend vermied sie es, mir den letzten Tanz zu schenken.

 

Somit war ich sie los, kam aber nicht so schnell darüber hinweg. Denn ich war verliebt. Na ja, was man so eine erste Liebe nennt. Noch zwei-dreimal im Laufe der Jahre liefen wir uns zufällig über den Weg. „Guten Tag , wie geht’s“. Mehr nicht. Und doch stieg jedes Mal ein leises Kribbeln in mir hoch.

 

Gestern erblickte ich nun in der Tageszeitung im schwarzumrahmten Teil den scheinbar unvermeidlichen Text, unsere liebe Mutti, meine herzensgute Frau …. Na ja, der weitere Text dürfte bekannt sein. Mittendrin stand ihr Name. In einfachen Druckbuchstaben . Mich befiel der unwiderstehliche Drang, sie noch einmal sehen zu dürfen. Nein, nicht dürfen … müssen!!!

 

Also begab ich mich nach Einbruch der Dunkelheit zu der kleinen Halle, in welcher die Verstorbenen „eingelagert“ waren. Die Tür war nicht verschlossen. Warum auch , es bestand ja keine Fluchtgefahr. Mit einer kleinen Taschenlampe ausgerüstet, öffnete ich den Deckel des ersten von drei Särgen.

 

Liebe Leserin, lieber Leser, waren Sie schon mal des Nachts in einer Leichenhalle? Nein ? Dachte ichs mir doch. Allzuwohl war mir bei der Sache nicht, zumal mir zunächst im halbdunkeln Schein ein ältlich und blass aussehender Mann entgegenblickte. Na ja, das ist übertrieben, die Augen hatte er geschlossen. Ich wusste, wer er war. In einer ländlichen Gemeinde kennt jeder jeden. Es war der alte Krause. Von Beruf war er Gärtner, Küster, Fernfahrer und was weiß ich noch alles. Er hatte eine bewegte Zeit hinter sich mit einer bösen Frau und deshalb einen sicheren Platz an der Theke der einzigen Kneipe.

 

Der Wirt wird wohl der einzige sein, der wirklich um einen mehr als guten Gast trauerte.

 

Im zweiten Sarg lag unser Pastor. Er hatte im Laufe der Jahre so viele Beerdigungen abgehalten, nur seine eigene blieb ihm nun nicht vergönnt. Sicherlich hätte er sich als einen guten Menschen gepriesen, der vielen Menschen Trost im Leid und Freude im Glauben geschenkt habe. Nun lag er in seiner Kiste, die Hände gefaltet, sein Gesicht schien zu lächeln, als sei es eine Gunst Gottes gewesen, ihn von dieser schrecklichen Welt abzuberufen.

 

Klopfenden Herzens öffnete ich den dritten und letzten Sarg. Sehr bedächtig und unwahrscheinlich langsam hob ich den Deckel an. Wie mag sie wohl aussehen? Wie war sie gekleidet? Hingen ihr die üppigen Haare wie immer etwas wirr im Gesicht? Waren ihre zu Lebzeiten roten Lippen einer leichenstarrenden Blässe gewichen ? Hatte man ihr die Hände über ihre in früheren Zeiten üppige Brust gefaltet ? Ich wagte kaum, einen Blick in die vom hiesigen Schreiner kunstvoll gearbeitete letzte Liegestätte zu werfen. Bevor ich die Lampe anknipste, stellte ich mir „SIE“ als junges Mädchen vor. Ich überlegte, ob ich die Aktion abbrechen und „Sie“ lieber so in Erinnerung behalten sollte, wie ich sie einst kennenlernen durfte. Ich erinnerte mich an den letzten Wiegeschritts des Tangos, der mehr als missglückte.

 

Als ich den langsamen Walzer mit dem linken Fuß vorwärts begann und den Foxtrott mit einer Rumba verwechselte. Ein letztes Mal wollte ich ihr Gesicht berühren. Zart nur, ganz zart. Einmal wollte ich das Gefühl haben, „Sie“ gehöre nun für einige Minuten mir ganz allein. Eine Handbreit hatte ich den Sarg geöffnet, nahm allen Mut zusammen., hob den Deckel weiter an und erstarrte. Der Schrein war leer. .

 

Plötzlich ging das Licht an. Vor mir stand der Totengräber , lachte schallend. „ Auf Dich habe ich gewartet, jahrelang haben wir uns gestritten, immer hast Du alles besser wissen wollen, hast mich überall angeschwärzt und schlecht gemacht. Nun ist Schluss damit. Er holte einen Spaten hinter seinem Rücken hervor und schlug ihn mir mehrmals über den Kopf.

 

Kein Grab, kein Stein, kein Kreuz, keine Blume erinnert an mich. Still und anonym döse ich einen halben Meter unter der Erde vor mich hin. Bis in alle Ewigkeit, sofern mich vorher nicht die Würmer fressen.

 

 

 

                                                                                                (c) by KUK